Mit feministischen Grüßen. Kollektive Zusammenarbeit

Saskia Kühnemund

Kommunikationsdesign

Bachelorarbeit

Mit feministischen Grüßen. Kollektive Zusammenarbeit

Saskia Kühnemund

sie/ihr

Kannst du dich und dein Projekt kurz vorstellen? Hi, ich bin Saskia und studiere derzeit im Master Kommunikationsdesign. Meinen Bachelor habe ich Anfang des Jahres an der HAW abgeschlossen. Meine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Typografie und Editorial ­Design. In meinen Projekten setze ich mich häufig mit feministischen und aktuellen gesellschaft­lichen Themen auseinander. Als Gestalterin ist es mein Ziel, Design zu vergegenwärtigen. Mit meiner gestalterischen Perspektive trete ich gerne an Probleme heran, um mit meinen Arbeiten Reaktionen zu provozieren – sei es ein Lächeln, ein Stirnrunzeln oder ein nachdenklicher Blick. Hauptsache, es entsteht etwas, das nicht langweilt. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen und habe eine besondere Vorliebe für Detailtypografie und Materialität. In meiner Bachelorarbeit ‹MF*G. Kollektive Zusammenarbeit› untersuche ich die Potenziale und Herausforderungen dieser alternativen Arbeitspraxis. In einer Zeit, in der Geschlechter-Ungleichheit und patriarchale Strukturen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft zunehmend in den Fokus geraten, gewinnen alternative Organisationsformen an Bedeutung. In meiner Auseinandersetzung habe ich kollektives Arbeiten als alternatives Modell hinsichtlich patriarchaler Arbeitsstrukturen untersucht. Die Bildung von sozialen Gemeinschaften hat bereits in der Vergangenheit dazu beigetragen, die Identifikation mit feministischen Anliegen und Zielen zu stärken. Wir verbünden uns, um neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen, widrige Situation gemeinsam zu bewältigen und neue Ästhetiken zu entwerfen, was meist auch mit einer Infragestellung von Hierarchien einhergeht. Die Zusammenarbeit in Kollektiven bietet nicht nur für uns Gestalter*innen zahlreiche Vorteile. Durch das Zusammenkommen verschiedener Köpfe, Perspektiven und technischer Fähigkeiten entsteht im kreativen Prozess ein enormes Potenzial mit spannenden Ergebnissen. Es ermöglicht uns voneinander zu lernen und gemeinsam zu profitieren. Doch worin liegt das Geheimnis dieser neuen, zielgerichteten und temporären, kollektiven Arbeitsform? Diese Frage hat mich dazu in­spiriert, die Qualitäten des kollektiven Arbeitens zu erforschen, zu analysieren und durch Interviews mit verschiedenen Kollektiven in einen zeitgenössischen Kontext zu bringen. Was hat dich inspiriert und motiviert, dich mit diesem Thema auseinanderzusetzen? Durch meine zuvor absolvierte Ausbildung in einer Werbeagentur habe ich zunächst unter hierarchischen Strukturen ­gelernt. Meine Studienzeit war zum größten Teil von Tandem- oder Gruppenarbeiten geprägt. Dies hat mir gezeigt, dass es durchaus alternative Arbeitsformen der Zusammenarbeit gibt, die sich deutlich von der herkömmlichen Arbeitswelt unterscheiden: ohne Leitungsebene und mit flachen Hierarchien. Das bedeutet viel Freiraum, aber auch viel eigenes Einbringen. Ein Kurs, der mich besonders beeinflusst hat, war die Organisation und Gestaltung der sechsten ‹Call Me›, unsere Absolvent*innen-Ausstellung. Wir arbeiteten in einem Kollektiv von fünf Designerinnen mit unterschiedlichen Schwerpunkten zusammen und hatten zuvor noch nie gemeinsame Projekte realisiert. Man könnte sagen, es war ein Experiment ohne vorhersehbares Ergebnis. Dennoch arbeiteten wir sofort eigenverantwortlich auf Augenhöhe zusammen. Es war ein Zusammenspiel unterschiedlicher Stärken und Erfahrungen. Das Gemeinschaftsgefühl, das sich im Laufe unserer Kollaboration entwickelte, gab uns immer mehr Selbstvertrauen und bestärkte mich in dieser Art der Zusammenarbeit. Dennoch ist es relevant zu erwähnen, dass diese Kollektivstrukturen nicht zwangsläufig für jeden Menschen funktionieren, da dies von der individuellen Persönlichkeit und den individuellen Bedürfnissen abhängt. Doch gerade die Erzählungen aus der Praxis meiner Interviewpartner*innen haben mich darin bestärkt, dass diese persönlichen Aspekte auch Teil der eigenen Haltung sind. In Kollaborationen zu arbeiten, ist für mich persönlich eine schöne Arbeitsweise, die zu mehr Inspiration und Wissensaustausch führen kann und in der man immer in Bewegung bleibt. Es fordert jedoch auch eine größere Bereitschaft, sich über Themen und Ideen auszutauschen und gegebenenfalls eigene Ansätze aufzugeben. Die gemeinsame Reflexion über Entwürfe und der größere Input führen für mich aber meistens zu besseren Ergebnissen. Was genau macht ein Kollektiv aus? Was bedeutet kollektives Arbeiten? Im Wesentlichen handelt es sich bei Kollektiven um organisierte Zusammenschlüsse von Menschen, die gemeinsame Ziele, Werte und Interessen verfolgen. In einem Kollektiv arbeiten die Mitglieder kooperativ und partizipativ zusammen, wobei Entscheidungen oft auf dem Prinzip der Konsensfindung basieren. Kollektive zeichnen sich häufig durch flache Hierarchien aus, kollektives Lernen, kreative Entfaltung und individuelle Mitgestaltung. Durch ihre gemeinsame Arbeit und Solidarität streben Kollektive nach sozialer Veränderung, Gerechtigkeit und dem Aufbau alternativer Strukturen jenseits traditioneller Hierarchien. Kollektives Arbeiten bietet den Vorteil des selbstbestimmten Arbeitens, des vertrauensvollen Miteinanders, der gemeinschaftlichen Zielsetzung sowie die Identifikation mit einer gemeinsamen Idee. Jede*r fühlt sich verantwortlich für das Wohlergehen der Anderen, auch über den Arbeitsalltag hinaus. In guten wie in stressigen Zeiten. Dies bietet Sicherheit und damit auch einen Schutzraum für alle Mitglieder. Die Kollektive verstehen sich als alternative ­Unternehmensmodelle jenseits des gewinnorientierten Kapitalismus. In herkömmlichen Unternehmen sind leider oft noch ausbeuterische Arbeitsbedingungen zu finden, die auf Macht, Autorität sowie auf Faktoren wie Wissen, Fähigkeiten, sozialem Status oder intro- und extravertierten Persönlichkeitsmerkmalen basieren. Dieses Konzept eröffnet eine vielversprechende Möglichkeit, alternative Arbeitsstrukturen jenseits von individuellem Wettbewerb und ökonomischem Effizienzgedanken zu entwickeln und in der Praxis unmittelbar zu erproben. Eine solidarische Erzählung des Zusammenhalts, des Austauschs und der Fürsorge tritt dabei an die Stelle des narrativen Fokus auf individuelle Erfolge. Dieser Aspekt befreit mich von der Erwartung, egozentrische Alphatier-Eigenschaften annehmen zu müssen, um in der beruflichen Welt erfolgreich zu sein. Kannst du uns von deinem Arbeits- und Gestaltungsprozess erzählen? Wie bist du vorgegangen? Um meine theoretischen Fragestellungen zu untersuchen und zu diskutieren, aber auch meine Thesen zu hinterfragen, wollte ich einen Einblick in die Arbeitsweise und Organisation von Kollektiven erhalten und habe ich mich dazu entschieden Interviews mit ihnen zu führen. In diesem Rahmen entstanden insgesamt acht Interviews mit zwölf Interviewpartner*innen. Die Theorie, aber auch die Verschriftlichung der Interviews bilden den Inhalt des Buches. Um möglichst vielschichtige Einblicke zu erhalten, wollte ich nicht nur im Designbereich dazu forschen, sondern Antworten aus verschiedenen Branchen erhalten. Die von mir interviewten Kollektive sind in vielfältigen Bereichen aktiv: ­‹Quijote Kaffee› und ‹La Gota Negra› sind im Bereich der Kaffeeröstung aktiv, während das ­‹Subrosa Kollektiv› ein Café, ein Restaurant und eine Kneipe betreibt. Das ‹zickzack-Kollektiv› widmet sich der Herstellung und dem Vertrieb von Erfrischungsgetränken. Der ‹Garten Jeden› pflegt gemeinschaftlich einen Kleingarten, während das ‹LU’UM Kollektiv› Begegnungsräume gestaltet und Expertise aus den Bereichen Architektur, urbaner Praxis und Kunst einbringt. ‹Distaff Studio› und das ‹Jam Kollektiv› sind im Bereich des Grafikdesigns tätig. Die geführten Interviews stellen zweifellos nicht die gesamte Bandbreite kollektiver Arbeit dar, geben aber dennoch einen bereichernden Einblick in die persönlichen Motivationen, Arbeitsweisen, feministischen Haltungen und Erfahrungen innerhalb der ­Kollektive. Bei genauer Betrachtung der acht Gespräche werden trotz individueller Charakteristika zahlreiche Parallelen deutlich. Um die Verbindung zwischen meiner theoretischen Auseinandersetzung und den praktischen Erfahrungen der Kollektive zu verdeutlichen und beide Teile ineinander greifen zulassen, habe ich ein Buch gestaltet, das beidseitig gelesen werden kann. Dies verdeutlicht die wechselseitige Beziehung zwischen Theorie und Praxis. Vor welche Herausforderungen hat dich dein Projekt gestellt? Eine große Herausforderung war die große Bearbeitungsdauer der zahlreichen Interviews. Ich führte die meisten Gespräche direkt vor Ort und zeichnete die Aussagen auf. Die anschließende Transkription und das mehrfache Überarbeiten der Texte, ohne deren charakterliche Eigenschaften zu verlieren, habe ich deutlich unterschätzt! So entstanden in einer halben Stunde Interviewzeit mit einem Kollektiv oft zwölf Seiten Text, die sorgfältig bearbeitet und ausgewertet werden mussten. Was ist dir besonders wichtig an deinem Projekt? Lange Rede, kollektiver Sinn: Zusammenfassend bin ich aufgrund meiner Recherchen und dem Austausch mit den Kollektiven zu der Überzeugung gelangt, dass die Zusammenarbeit in kollektiven Strukturen und die solidarische Vernetzung untereinander einen bedeutsamen Schritt in Richtung Etablierung einer alternativen Wirtschaftsstruktur darstellen kann und gleichzeitig einen gesellschaftlichen Diskurs über eine nachhaltige Arbeitswelt anregt. Diese Arbeit strebt nach der Förderung einer vielfältigen und differenzierten Arbeitswelt. Dabei geht es nicht um das Ersetzen, sondern vielmehr um das Erweitern von Perspektiven. Kollektive als Orte des gemeinsamen Denkens und Schaffens können dabei feministische Impulse setzen: Für alternative Arbeitskonzepte, für inhaltliche Auseinandersetzungen, für sichere Räume, in denen sich unterrepräsentierte Personen unterstützen und fördern können. Für mich persönlich waren die Gespräche mit den Kollektiven sehr motivierend, ich konnte die Erfahrungen der Kollektive gut für meine eigene Praxis nutzen und es hat mich weiter darin bestärkt meine zukünftige Praxis auch in kollektiven Verbindungen zu finden.