►Mit welchem Thema hast du dich auseinandergesetzt? In meiner Bachelorarbeit ‹Für immer im Wesen› habe ich mich mit meiner eigenen Trauer nach dem Verlust meines Vaters beschäftigt. ►Was hast du während des Projekts gelernt? Am Anfang meiner Trauer sagte ich einmal, dass ich mit meinem Vater einen Teil von mir selbst verloren habe. Die Seite von mir, die mit ihm zusammen agierte, Witze machte und Traditionen pflegte. Die Tochter, die ihrem Vater gerne zuhörte, wie er ihr von Erinnerungen aus seinem Leben erzählte, während sie beide am Esstisch saßen, nachdem er von der Arbeit nach Hause gekommen war. Doch dieser Teil von mir ist nicht vergessen und deshalb auch nicht vergangen. Er existiert weiter in mir und ab und zu erlebe ich ihn bewusst. Er hat eine andere Form angenommen, dennoch ist er nicht verloren gegangen. Ich habe mich bewusst dazu entschieden, meinen Verlust durch mein Leben zu tragen und mit ihm meine Liebe zu meinem Vater. Zudem habe ich herausgefunden, dass es wichtig ist, zwischen den Momenten der aktiven Auseinandersetzung mit Trauer auch Pausen einzulegen, in denen sich anderen Thematiken zugewendet wird – und diese genauso zur Heilung beitragen können. ►Was war die größte Herausforderung? Die größte Herausforderung war, alle meine Gefühle kommen und gehen zu lassen. Und diese nicht zu bewerten. Zur Trauer gehören nicht nur die schweren Emotionen: Tage, an denen ich mit meinen Freunden Spaß hatte und sogar eine gewisse Form von Leichtigkeit spüren konnte, fielen mir besonders schwer. Dabei ist es ebenso wichtig, sich Phasen der Erholung zu genehmigen, damit es wieder Phasen des bewussten Trauerns geben kann. ►Was möchtest du mit deiner Arbeit mitteilen? Ich weiß, wie schwer der Verlust eines geliebten Menschen und die damit verbundenen schmerzhaften Gefühle sein können. Äußere Erwartungshaltungen, wie mit dem Thema Trauer umgegangen werden soll, machen diese Last nicht leichter. Deshalb ist es mir wichtig, klarzustellen, dass es nicht den einen, richtigen Weg der Trauer gibt, da jeder Mensch individuell ist und unterschiedliche Bedürfnisse hat. Ebenfalls möchte ich mit meiner Arbeit Menschen, die mit dem Thema in Berührung kommen, sei es, weil sie einem trauernden Menschen nahe stehen oder selber trauern, einen Einblick in meine eigene Erfahrung mit Trauer geben und damit einen möglichen Raum eröffnen, um über das Thema nachdenken und sich austauschen zu können. Im besten Fall entsteht ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Beistandes. Die Integration des Schmerzes in den Alltag heilt nicht den Verlust, sondern schafft eine neue Normalität, wenn man den Tod als Teil des Lebens akzeptiert. Hat man dies geschafft, wird der Tod zum Begleiter des Lebens und verliert etwas von seinem Schrecken. ►Wie läuft dein Gestaltprozess ab? Der praktische Teil meiner Arbeit zeigt meine Auseinandersetzung mit dem Verlust meines Vaters nach dessen Tod und besteht aus einer Fotoserie, welche sich aus Selbstportraits und meiner Wahrnehmung der Umgebung während meiner Trauer zusammensetzt. Diese habe ich mit alten Dia-Negativen aus der Vergangenheit meines Vaters kombiniert, welche ich zum ersten Mal nach seinem Tod sah. Die Serie wurde später von mir, zusammen mit einem von mir geschriebenen Gedicht aus meiner anfänglichen Trauerzeit, in einem Fotobuch kombiniert, da das Aufschreiben von meinen Gedanken ein zusätzliches Ventil für mich darstellt. ►Wie hat Fotografie dir bei deiner Trauer geholfen? Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich zwei Tage nach dem Tod meines Vaters eine Taubheit in mir gespürt habe, die mir Angst machte. Mit emotionaler Leere konnte ich weniger umgehen als mit überwältigenden Emotionen. Später bemerkte ich, dass sich diese emotionale Leere ergab, während ich damit beschäftigt war, alle Hilfsangebote von meiner Familie und meinen Freunden anzunehmen. Ich war mit meinen Gedanken bei den anderen im Außen und wollte herausfinden, wie ich es schaffen konnte, niemanden zu enttäuschen und allen das Gefühl zu geben, von mir gebraucht zu werden. Aber im Endeffekt wusste ich noch nicht, was ich selber brauchte und konnte dementsprechend wenig darauf eingehen. Ich fühlte mich leer, da ich nicht mit mir und meinen Emotionen verbunden war. Ich musste mich zuerst von der Außenwelt abgrenzen, um mir meiner Bedürfnisse bewusst zu werden. Meine Technik fand zuerst zu mir, bevor ich sie als solche erkannte. Ich fotografierte mich und meine Situation intuitiv und wusste nicht genau, wieso. Ich war sogar irritiert darüber, dass ich es tat, aber merkte auch, dass es mir einen emotionalen Ausgleich gab. Und so nahm ich diesen Ausgleich an, ohne ihn weiter zu hinterfragen. Wenn ich überfordert bin, fotografiere ich. Hätte ich das Medium der Fotografie nicht zur Verfügung gehabt, wüsste ich nicht, wie ich diese vielen überwältigenden Momente, die in einer solch kurzen Zeit passierten, annehmen und darauf hätte reagieren können. Mein Vater starb Ende März 2022, meine neunzehnjährige Katze, mit der ich aufwuchs, verstarb über das darauffolgende Pfingsten und im September wurde das Haus weitervermietet, in dem ich aufgewachsen bin und in dem ich lange Zeit mit meinem Vater zusammen gelebt habe. All diese unschönen Ereignisse dokumentierte ich und ich trauerte um den Menschen, das Tier und den Ort zugleich. Meine Bilder gaben mir die Möglichkeit, in meinem Tempo mit der Veränderung umzugehen. Sie hielten die Zeit für mich an. Wann immer ich nun das Bedürfnis danach habe, mir meine Katze oder auch meinen alten Garten anzusehen, kann ich das tun, auch wenn beides nicht mehr physisch zur Verfügung steht.
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